Überwachung

(Übersetzung und Aktualisierung des englischen Textes. Verweise zu Quellen in englischer Sprache sind als solche gekennzeichnet.)

Wer des Englischen mächtig ist, der möge das Interview mit Edward Snowden (englischsprachiger Link) schauen, um seine Beweggründe zu verstehen sowie die Ironie, daß er fragwürdige Regierungen benötigt zum Schutz gegen all die “Demokratien”, die Verbündete genau der Regierung sind die ihn verfolgt. Zudem wissen die PR-Berater, wie man den Fokus der Debatte auf Snowden selbst schiebt (“Ist er ein Verräter?”) anstelle die Ausmaße der Überwachungsprogramme der USA und des Vereinigten Königreiches so diskutieren.

Technologie und Gesellschaft. Wo wir gescheitert sind.

Es ist zu kompliziert verschlüsselte Kommunikation zu benutzen, wenn doch Skype, WhatsApp und Facebook so komfortabel (und unsicher und zentralisiert) zu nutzen sind. Der technischen Avantgarde gelang es nicht, integrierte E-Mail-Verschlüsselung in den gängigen E-Mail-Programmen von Haus aus verfügbar zu machen (via GPG/PGP). Dies kann zwar keine Verbindungsdaten (wer mit wem kommuniziert) verbergen, aber doch die Inhalte der Kommunkation. Kennt Ihr irgendwelche Nicht-Computergeeks, die Tor oder CryptoCat benutzen? Ich nicht. Das Bewerben und Bekanntmachen freier (englischsprachiger Link) und dezentraler Dienste (also Dienste, welche nicht zentral auf einem Computer im Internet [zusammen]laufen, der von einer Firma kontrolliert wird) ist hart, da keine finanzstarke Marketingabteilung hinter ihnen steht, und wir wissen alle, daß die beste Technologie sich aus verschiedensten Gründen oftmals nicht durchsetzt.

Computerbenutzer mögen keine Entscheidungen treffen, wenn sich irgendein Fragefenster in ihren Internetbrowsern öffnet (“aufpoppt”). Stattdessen willst Du den Dialog einfach nur loswerden (englischsprachiger Link). Also besitzen die meisten Internetbrowser von Werk aus eher schwache Privatsphäre-Einstellungen, um uns bloß nicht mit verwirrenden Fragen zu konfrontieren (obgleich einige Browser nun bessere Vorgabeeinstellungen zur Benutzerverfolgung (“Do not track”) besitzen oder von Werk aus keine Drittanbieter-Cookies mehr zulassen).
Daher ist das Akzeptieren von Cookies und Drittanbieter-Cookies ohne Nachfrage von Werk aus im Internetbrowser für alle Internetseiten aktiviert. Wir melden uns fröhlich jedesmal ab von Facebook, Google+, Twitter, Foursquare und all diesen anderen Diensten die kostenlos (englischsprachiger Link) sind, falls es überhaupt noch einen Abmeldeknopf gibt — mobile Versionen scheinen diesen unnötigen Killefit fallengelassen zu haben. All die eingebetteten “Gefällt mir!”-Knöpfe auf anderen Internetseiten teilen den Konzernen immer noch mit welche Seiten wir besuchen, bis wir Werbungsblocker installieren und diese richtig konfigurieren (obgleich auch da inzwischen Bedenken vorhanden sind). Und HTTP Referer teilen dem Betreiber einer Webseite mit, von welcher Website aus wir sie besuchen. Flash-Cookies sind ein Gebiet, das sich außerhalb der Cookie-Einstellungen des Browser-Einstellungsdialoges gewegt. Wir können einige Dinge unternehmen, aber dies erfordert Anstrengungen (englischsprachiger Link). Und ich will das Internet ja gar nicht verstehen, ich will doch nur Email machen!!!! Aber selbst wenn wir Privatsphäere wichtig nähmen: Die Informationen die der Internetbrowser automatisch ausgibt (Größe des Bildschirms, verwendetes Betriebssystem, bevorzugte Sprachen, installierte Erweiterungen (Plugins), Zeitzone, installierte Schriftarten) können unser Gerät immer noch einzigartig und damit identifizierbar machen.
Also nutzen wir jeden Tag die selbe Suchmaschine, da dies bequem ist und die besten Ergebnisse liefert, bald sogar personalisiert und auf den Interessen unserer Freunde basierend und nicht mehr “objektiv”! Wir melden uns bei Onlinediensten an ohne uns die Allgemeinen Geschäftsbedingungen durchzulesen (englischsprachiger Link). Wir reichern unsere digitalen Photos mit GPS-Koordinaten an und laden diese auf zentrale Internetserver hoch (Facebook, Google Picasa, Yahoo Flickr), da es so bequem ist diese mit Freunden zu teilen und automatisch anzuzeigen, wo die Fotos gemacht wurden. Soziale Netzwerke können unsere Benutzerdaten an die Polizei weitergeben, falls wir auf Photos Drogen nehmen sollten, aber wer würde schon Drogen nehmen (in Verbindung mit der automatischen Gesichtserkennung die diese Onlinedienste bereitstellen), oder auf einem Photo sein von einer Protestdemonstration gegen eine Regierung.
Anwendungen auf unseren Mobiltelefonen greifen auf die Adreßbücher auf unseren Mobiltelefonen zu und nehmen sich all die Kontaktdaten von unseren Freunden, ohne uns dies wissen zu lassen (es stand ja irgendwo weiter unten in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die wir beim Installieren schnell weggeklickt haben), da wir bequemerweise alle unsere Adreßbücher zwischen all unseren technischen Geräten abgleichen. Dank den “App Stores”, in denen wir uns Anwendungen für unserer Geräte zentral an einem Platz herunterladen können, wissen unsere Telefonanbieter genau welche Anwendungen wir installiert haben und in welche Anwendungen wir interessiert sind. Und vielleicht auch, welche Anwendungen wir wie oft benutzen. Dank Online-Musikläden wissen Konzerne wie Amazon oder Apple ganz genau, welche Musik wir mögen und können uns weitere Künstler empfehlen – komfortabel, da wir nicht mehr selber suchen müssen. Aus unserem sozialen Netzwerk herausgeworfen zu werden (englischsprachiger Link) und damit aus unserer Online-Identität, oder das eigene Amazon-Konto deaktiviert zu bekommen und alle Bücher auf dem Lesegerät zu verlieren von denen wir dachten daß wir sie “gekauft” hätten (englischsprachiger Link) ohne auch nur einen Anspruch auf Entschädigung zu haben ist soviel einfacher geworden mit zentralisierten Diensten.
Wir haben Mikrofone in unseren Telefonen die durch Softwareprogramme eingeschaltet werden können, unsere Telefone melden sich in einer Funkzelle an die in größeren Städten nur einen kleinen Bereich abdeckt, wodurch es immer ziemlich klar ist wo wir uns befinden. Mit wem wir am meisten Kontakt haben durch Telefonate oder Kurznachrichten ist sowieso klar.
Wir nutzen digitale, nicht-anonyme Rabattkarten um ein paar lächerliche Cents im Supermarkt zu sparen, damit Konzerne wissen was wir kaufen. Aber es ist so komfortabel nur Angebote für die Dinge zu erhalten, an denen wir auch interessiert sind. Und Firmen, die Angaben zu unserer Kreditwürdigkeit (Bonität) verkaufen müssen nicht mehr unser Einkommen raten basierend auf der Gegend, in der wir leben – wir teilen ihnen unsere Kaufkraft und Vorlieben umsonst mit.
Wir haben öffentliche und private Überwachungskameras in unseren Städten, auf Bürgersteigen und Straßen, in öffentlichen Verkehrsmitteln. Das läßt uns sicher fühlen, auch wenn die Kameras keinerlei Straftaten verhindern, ähnlich der Androhung von Todesstrafe. Die Polizei (zumindest im Land in dem ich lebe) besitzt eine Karte aller (registrierten) Überwachungskameras um schnell Straftaten aufzuklären und unsere Welt zu einem sichereren Ort zu machen, aber der Diebstahl bei meinen Hausnachbarn vor vier Wochen ist nicht aufgeklärt da nichts auf Band war. Es scheint als ob der Dieb einfach nicht den Haupteingang des Hauses benutzt hat, wahrscheinlich brauchen wir einfach mehr Kameras an mehr Ecken! Aber niemals die Polizei filmen (englischsprachiger Link) – man möchte ja nicht deren Sicherheit aufs Spiel setzen, sie sind hier um uns zu beschützen (englischsprachiger Link)!
Unsere Reiseausweise und unsere Plastikkarten um das Bürogebäude zu betreten oder um uns Essen zu kaufen oder ein Buch in der Universitätsbücherei auszuleihen haben kleine RFID-Chips integriert, oftmals stark genug um auch noch in einigen Metern Entfernung ausgelesen zu werden ohne daß wir mitkriegen würden, daß wir uns gerade ausgewiesen haben. Und all diese lästigen einzelnen Karten zu kombinieren ist viel bequemer, und nebenbei weiß unsere Universität daß wir als Studenten des Flugzeugbaus kein Fleisch essen und religiöse Bücher lesen. Und das versteckt eingebaute RFID-Lesegerät im Türrahmen teilt der Uni mit, ob wir die Pflichtvorlesung wirklich besucht haben oder ob wir nur faule Studenten sind, die rausgeschmissen werden sollten. Die Anwesenheitslisten auf Papier waren viel zu fehleranfällig.
Der anonyme (und übertragbare) Jahresfahrschein für den öffentlichen Personennahverkehr kostet mehr als die persönliche Variante mit Chipkarte, und das Buchen einer Bahnfahrkarte im Internet über mein persönliches Kundenkonto und meine Kreditkartendaten ist so viel praktischer als zum Laden zu gehen und in bar zu bezahlen. Warum den Fakt verbergen wollen, daß wir sehr oft von A nach B reisen (ob es sich um den Arbeitsplatz, Freunde, Partner, oder Geliebte handelt läßt sich anhand der Tageszeiten erraten), wenn wir doch Spezialangebote für Reisen von A nach B verpassen könnten?

Ich könnte wohl Stunden fortfahren.

Es ist egal welche Regierung als nächstes gewählt wird. Sie wird das selbe tun, weil wir das Problem der Überwachung nicht ernst nehmen. (Zudem wissen Regierungen ja was ihre Geheimdienste tun, und Geheimdienste würden niemals aus Eigeninteresse lügen.)

Technologie hat das Leben komfortabel gemacht. Es ist einfach, Antworten wie “Dies ist nur eine zeitlich begrenzte Maßnahme” oder “Dies geschieht nur zu Ihrer eigenen Sicherheit” zu akzeptieren, und nicht zu fragen warum der Herr an der Kasse uns nach unserer Postleitzahl fragt.
Ältere! Hört auf Briefe in Umschlägen zu senden, schreibt Postkarten! Denn wir haben nichts mehr zu verbergen.

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